Nicht alle berufsrechtliche Fragen verdienen es, höchstrichterlich entschieden zu werden, insbesondere wenn sie sich eigentlich direkt aus dem Gesetz ergeben. Ein deutscher Rechtsanwalt weigerte sich, als Zeuge in einem Verfahren auszusagen, in dem eine frühere Mandantin beteiligt war, weil er sich auf seine anwaltliche Schweigepflicht bezog. Der aktuelle Geschäftsführer der Mandantin hatte ihn aber längst von der Schweigepflicht entbunden. Der Kollege hielt die Schweigepflicht für ein anwaltliches Schweigeprivileg und schwieg. Gegen das zurecht erlassene Ordnungsgeld klagte er in Deutschland bis zum Bundesverfassungsgericht (!) und dann bis zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte(!!). Er rügte eine Verletzung von Art. 8 Menschenrechtskonvention (Achtung des Privat- und Familienlebens).
Was hat den Kollegen geritten? Aus der Anonymität der Anwaltschaft herauszutreten -, da die Parteien vor dem EGMR namentlich benannt werden? Da der Kollege Müller heißt (damit trägt er den Namen von tausenden deutschen Rechtsanwälten), ist ihm auch das nur spärlich gelungen.